In Matthäus 5,44 wendet sich Jesus während der Bergpredigt an die Menschenmenge, als er ihnen sagt: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!“. Das ist eine bemerkenswerte Aussage. In manchen Bibelübersetzungen wird dies noch weiter ausgeführt: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen“ (so z.B. die ‚Schlachter2000‘ Übersetzung).[1] Wer ist in der Lage, so etwas zu tun? Die Nächstenliebe (Markus 12,31) ist für viele schon schwierig genug. Aber hier geht Jesus mit diesem Gebot noch viel weiter. Warum will er, dass wir unsere Feinde lieben und wie können wir ihm in dieser Hinsicht gehorchen?
Was genau sagt Jesus über die Liebe zu unseren Feinden?
Der Kontext der Aussage Jesu ist die Bergpredigt. In den Kapiteln 5, 6 und 7 des Buches Matthäus werden die Worte Jesu aufgezeichnet, als er eine Predigt vor einer großen Menschenmenge hält, die ihm aus Galiläa und der Dekapolis, aus Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordans gefolgt war (Matthäus 4,25). Jesus hat bereits über die Segnungen Gottes und seine eigene Rolle bei der Erfüllung des mosaischen Gesetzes gesprochen und wendet sich ab Vers 21 bestimmten Traditionen und Situationen zu.
Übrigens ist es interessant, sich die Regionen vor Augen zu halten, aus denen die großen Menschenmassen kamen. Sie waren nicht alle jüdisch, Jesus wandte sich also nicht nur an eine jüdische Zuhörerschaft: Viele der Menschen dort waren Heiden und hätten als „potenzielle Feinde“ betrachtet werden können, da es viele politische Spannungen zwischen dem Volk Israel, den umliegenden Nationen und den römischen Unterdrückern gab.
In Matthäus 5,43 weist Jesus darauf hin, dass den Menschen gesagt worden war, sie sollten „ihre Feinde hassen“. Nun, von Gott hatten sie das nicht gehört. In 3. Mose 19,18 befiehlt Gott: „Räche dich nicht und sei nicht nachtragend! Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!“. Die Anweisung zu hassen ist ein unbiblischer Zusatz, der möglicherweise von den Pharisäern eingeführt wurde. Es waren dieselben Pharisäer, die später zu den Feinden Jesu werden sollten. Jesus nimmt ihr Gebot zurück und sagt den Menschen, dass sie ihre Feinde lieben, sie segnen, ihnen Gutes tun und für sie beten sollen.
Warum sagt Jesus das?
Wenn alle Menschen (a) ihre Nächsten und (b) ihre Feinde lieben würden, gäbe es keine Kriege mehr, keine Armut, keine Eifersucht, keine Unterdrückung, keine Boshaftigkeit usw. Wir würden das „Paradies auf Erden“ erleben, weil alle Menschen ihre Zeit darauf verwenden würden, einander zu helfen und dafür zu sorgen, dass die gesamte Weltbevölkerung genug zu essen hat, dass wir alle ein ordentliches Dach über dem Kopf, Zugang zu guter medizinischer Versorgung und einen sicheren Ort zum Leben und zur Freude am Leben haben. Seine Worte sind im globalen Maßstab wirklich von größter Bedeutung.
Auf einer persönlichen Ebene würden wir die gleiche Wirkung erfahren: Frieden. Hass auf jemanden macht es unmöglich, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Hass verbindet uns mit negativen Dingen. Er kann ein sehr starkes Gefühl sein und wenn wir uns von ihm verzehren lassen, führt er uns von Gottes Liebe weg. Wenn es uns gelingt, unsere Feinde zu lieben, können wir uns davon lösen und Frieden in unserem Herzen erfahren.
Wer ist unser Feind?
Genauso wie wir uns fragen, wer unser Nächster ist, lohnt es sich zu fragen, wer unser Feind ist. Unser Feind kann jeder sein, der sich so verhält, dass er uns verletzt, benachteiligt, bedroht oder verspottet,ODER von dem wir meinen, dass er uns verletzt, benachteiligt, bedroht oder verspottet. Kinder haben „Feinde“ auf dem Schulhof, Soldaten haben Feinde auf dem Schlachtfeld und Christen, die in einem Land leben, in dem das Christentum nicht frei erlaubt ist, können Feinde haben, die sie verfolgen wollen. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, warum wir Menschen, die uns verletzen oder angreifen, nicht mögen. Wir hassen sie sogar.
Was ist Hass?
Überraschenderweise ist vielleicht nicht jeder Hass falsch. Unsere Sünde zu hassen, ist sehr gut. Gott hasst alles, was uns von seiner Liebe trennt, wie Götzendienst (5. Mose 16,22), das Böse (Hosea 9,15; Psalm 5,5; 11,5) und die in Sprüche 6 aufgeführten falschen Entscheidungen. Aber er hat nicht zugelassen, dass der Hass seinen Plan für die Menschheit durchkreuzt. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat (Johannes 3,16).
Gott ist in der Lage eine wichtige Unterscheidung zu treffen, die uns schwerfällt. Unser Hass ist oft mit Rachegefühlen verbunden, mit Unfreundlichkeit oder mit dem Wunsch, den anderen zu benachteiligen. Gott hasst nicht auf diese Weise. Denn er lässt seine Sonne für Böse wie für Gute aufgehen und lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte (Matthäus 5,45). Der Unterschied liegt in den Motiven des Hasses. Gottes Hass ist gerechtfertigt und begründet, während wir Menschen unseren Hass von Emotionen leiten lassen, oft in einer Weise und in einem Ausmaß, dass wir ihn nicht kontrollieren können.
Feindseligkeit gegenüber anderen macht uns anfällig für Sünde. Erstens: Wenn wir uns entscheiden jemanden zu hassen, haben wir vermutlich ein Urteil über diese Person gefällt (und sie für „hassenswert“ befunden). Aber Jesus sagt uns, dass wir nicht über andere urteilen sollen (Matthäus 7,1-2). Zweitens: Wenn wir jemanden hassen sind wir nicht in der Lage, ihn als unseren Nächsten zu betrachten und wir können ihn nicht lieben, wie Jesus es uns geboten hat. Das dürfen wir nicht unterschätzen. In 1. Johannes 3,15 steht: „Jeder, der seinen Bruder oder seine Schwester hasst, ist ein Mörder. Und das wisst ihr: Ein Mörder hat das ewige Leben nicht in sich.“
Ist Jesus nicht klar, wie schwierig das ist?
Es IST schwierig. Aber selbst Jesus, der die schmerzhafteste und erniedrigendste Folter und den Tod ertragen musste, bat seinen Vater, als er am Kreuz hing, seinen Feinden zu vergeben: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23,34). Jesus weiß es. Er hat sich bewusst dafür entschieden seine Feinde nicht zu hassen, sondern für sie zu beten. Er wartete nicht auf ein positives Gefühl ihnen gegenüber‚ noch wartete er darauf, dass sie ihn um Vergebung baten. Er beschloss einfach nicht zu hassen, sondern zu vergeben. Wenn dir das schwerfällt: Bete um Kraft in dieser Hinsicht und Gott wird sie dir geben (Matthäus 7,7). Wir empfehlen dir, unsere Artikel über Vergebung zu lesen, die dir vielleicht helfen können.
Es ist leicht, diejenigen zu lieben, die freundlich zu uns sind. Aber Jesus verlangt von seinen Nachfolgern, dass sie seine eigene Liebe zu den Menschen widerspiegeln. Das gilt auch für Menschen, die überhaupt nicht freundlich sind. Unsere Feinde zu lieben, die zu segnen, die uns verfluchen, denen Gutes zu tun, die uns hassen und für die zu beten, die uns misshandeln und verfolgen, ist etwas, das er von denen verlangt, die entschlossen sind, in seine Fußstapfen zu treten und den Wunsch haben, in der Liebe vollkommen zu sein, wie es unser himmlischer Vater ist (Matthäus 5,48).
[1] Die verschiedenen Bibelübersetzungen beruhen auf unterschiedlichen Quellentexten, die nur minimale Abweichungen aufweisen. Die kürzere Version dieses Verses stammt aus dem griechischen Neuen Testament/Novum Testamentum Graece von Nestlé-Aland, das auf alexandrinischen Handschriften basiert, während die längere Version aus dem Textus Receptus stammt, der auf einer byzantinischen Textart beruht. Vergleiche Lukas 6,27-28 für einen sehr ähnlichen Vers, der in allen Handschriften zu finden ist.